Donnerstag, 22. März 2012

Date mit Folgen II

"Ja, ich bin Felix. Vielleicht hätt ich dir vorher von meiner Behinderung erzählen sollen. Aber ich hatte Angst, dass du mich dann nicht treffen willst. Ich wollte dass du mich als ganz normalen Menschen kennen lernst, nicht als bemitleidenswerten Kerl im Rollstuhl." Vanessa war immer noch sprachlos. Vor ihren Augen setzte sich ein neues Gesamtbild zusammen. Alles begann, besser zu passen. Dass er erst eine Freundin hatte bisher, am Wochenende nie wegging, bei seinen Eltern wohnte...
Eigentlich hatte sie ja nichts gegen Rollstuhlfahrer. Ihre Schule war die einzige in der Stadt, die auch Schüler mit einer solchen Behinderung aufnehmen konnte. Deshalb war sie selbst auch mit einem Jungen aus ihrer Klasse befreundet, der im Rollstuhl saß. Aber mehr als das konnte sie sich nicht vorstellen. Auch wenn sie es ihm gegenüber unfair fand, bei dem Gedanken, mit ihm Sex zu haben, sträubte sich in ihr alles. 
"Das hättest du doch sagen sollen...", stotterte sie, sichtlich entsetzt. "Ich weiß...tut mir leid.", sagte er, und fügte mit traurigem Blick noch hinzu:"Soll ich wieder gehen?" "Nein, nein, bleib nur...ich...muss mich nur erst daran gewöhnen. Aber das ist nicht so schlimm, ist schon okay.", log sie schnell. Ein Grinsen breitete sich auf seinem runden Gesicht aus. "Ok, dann lass uns mal die Karten holen." 
Es kam Vanessa vor wie eine Ewigkeit, als sie an der Kasse warteten. Immer wieder blickte sie heimlich zu Felix runter, der voll auf die Anzeigetafeln über ihnen konzentriert war. Wenn er so wenigstens gut aussehen würde. Schon allein die dicke Brille ließ ihn seltsam aussehen, ganz abgesehen von seinem nicht ganz flachen Bauch. Eigentlich schrecklich, aber sie traute sich immer noch nicht, ihn freundlich abzuweisen. Dazu war sie viel zu gut erzogen worden. Auch als sie schließlich Karten für einen schnulzigen Liebesfilm kauften, hatte sie das Gefühl, von allen Seiten komisch angesehen zu werden. Die Frau hinter der Kasse warf ihr tatsächlich einige kritische Blicke zu. Vanessa hoffte nur, sie würde niemanden treffen der sie kannte. 
Zum Glück mussten sie zum Kinosaal nicht das Stockwerk wechseln, so konnten sie ohne großen Aufwand davor warten. Vanessa ließ sich auf einen der Sessel im Vorraum fallen und blickte erst mal durch den Raum. Kein bekanntes Gesicht. "Ähm...könntest du mir vielleicht helfen und den Stuhl ein bisschen zur Seite schieben?", unterbrach Felix sie. Peinlich berührt wurde ihr klar, dass Felix gar nicht zwischen den Stühlen durchkam, die um sie herumstanden, wenn er in ihre Nähe wollte. "Oh sorry natürlich!" Also sprang sie auf und räumte alle Stühle aus dem Weg. Wieder starrten sie einige Leute dabei an. Als sie wieder saßen, fing Felix an von seiner Arbeit zu erzählen. Vanessa war ganz dankbar, dass sie nicht viel reden musste. Sie war so schon schüchtern genug und unter diesen Umständen wäre wahrscheinlich nicht viel aus ihr herauszubekommen.
 Irgendwann fing Felix an in der Tasche zu kramen, die auf der einen Seite seines Rollstuhls baumelte. "Wie schon gesagt, ich hab dir was mitgebracht.." Bitte nicht, dachte Vanessa sich in diesem Moment. Dann muss es für alle Leute hier ja auch aussehen wie ein Date...
Aber zu spät. Er holte ein kleines Päckchen aus seiner Tasche, in rotes Geschenkpapier gewickelt. "Du hättest mir echt nichts mitbringen müssen..." -"Doch! Mach auf, ich bin gespannt was du sagst." Auffordernd lächelte er sie an. Gezwungen lächelte sie zurück und begann ungeschickt, das Papier abzureißen. Eine gelbe Pappschachtel kam zum Vorschein. Auch die öffnete sie schnell. Dass er schlechten Geschmack hatte konnte man ihm wirklich nicht vorwerfen. Ein silbernes Armband mit klaren, lila Steinchen verziert funkelte ihr entgegen. "Wow...das ist echt toll. Danke, ich weiß gar nicht was ich sagen soll!" "Gar nichts am besten. Das schönste daran ist doch, dass du dich darüber freust." Vanessas Wangen glühten, sie musste knallrot im Gesicht sein. Das Armband war wunderschön, aber ihr war es sehr unangenehm, weil sie wusste, dass sie sich dafür nicht revangieren konnte. Zum Glück konnten sie endlich in den Kinosaal. Schön dunkel und weit und breit keiner, der sie anstarrte. 
Natürlich saßen sie in der hintersten Reihe, ganz am Rand, damit Felix keine Treppen daran hinderten an seinen Platz zu gelangen. Im Sitzen war es gleich viel angenehmer neben ihm. Sie musste nicht mehr auf ihn herunterschauen und konnte vielleicht sogar einen Moment vergessen, dass er kein ganz normaler Mann war. Außerdem konnte sie sich so wenigstens voll auf den Film konzentrieren. Der Saal verdunkelte sich, die Werbung fing an. Felix sah immer wieder zu ihr rüber, aber sie tat so, als würde sie es nicht bemerken. Blickkontakt bedeutete wohl so viel wie "Küss mich!" und das wollte sie auf jeden Fall vermeiden. Netterweise machte er auch keine Anstalten sie zu küssen und sie war ihm sehr dankbar dafür. 
Nach einer halben Stunde aber fing er langsam an, sich näher zu ihr zu beugen. Vanessa wich immer weiter ein Stück zur anderen Seite, fast panisch, er könnte sie berühren. Als er dann seine Hand in ihre Richtung streckte, wäre sie am liebsten aufgestanden und weggerannt. Stattdessen aber legte sie ihre Hand auf die Sitzlehne, er seine darauf. Am Sie hätte sich ohrfeigen können für ihre Dummheit. Jetzt machte sie ihm auch noch falsche Hoffnungen. 
Mehr passierte aber den ganzen Film (der übrigens recht langweilig war) über nicht. Vanessa rieb sich die Augen als es wieder heller wurde und Felix lächelte sie an. "Na, hats dir auch gefallen?" "Ja war ganz nett...", antwortete sie. Während er wieder irgendwas erzählte, gingen sie nach draußen. Sie konnte ihm gar nicht richtig zuhören, so war sie darauf konzentriert, sich hinter ihren Haaren zu verstecken und möglichst unauffällig zu wirken. Der einzige Vorteil an Rollstühlen war, dass man während dem Fahren nicht Händchenhalten konnte, stellte sie fest. Als sie vor dem Kino standen, unterhielten sie sich noch einige Minuten. Dann fragte er:"Soll ich dich eigentlich nach Hause fahren?" Vanessa verstand nicht ganz. "Du mich heimfahren? Wie...kann...kannst du denn überhaupt..." Er unterbrach sie mit einem lauten Lachen. "Ja ich kann autofahren. Ich hab nur schwache Muskeln von der Hüfte abwärts. Zu schwach zum Laufen, aber stark genug zum autofahren.", erklärte er ihr. Trotzdem wollte Vanessa das lieber nicht. Sie wollte keine Minute zu viel mit ihm verbringen. Eigentlich war er ja ganz nett, mehr aber auch nicht und sie wollte ihm nicht noch mehr Hoffnungen machen. "Achso. Aber nein, brauchst du nicht, mein Vater holt mich hier wieder ab." "In Ordnung. Ist wahrscheinlich besser wenn er mich nicht sieht, oder?", fragte er nach. "Ja besser nicht..." "Ok. Dann wollen wir ihn auch nicht so lange warten lassen. War schön mit dir." Erwartungsvoll schaute er sie von unten an. Mit größtem Widerstreben konnte sie sich aufraffen, sich zu ihm runterzubeugen, um ihn zu umarmen. "Tschüss!", sagte sie. "Tschüss!" Und bevor sie ihm ausweichen konnte, drückte er ihr einen Kuss auf die Wange. Schon wieder rot anlaufend drehte sie sich schnell um, winkte ihm nochmal, und bemühte sich einigermaßen langsam um die nächste Ecke zu biegen. Dort blieb sie erst mal stehen und atmete durch. Ein Rollstuhlfahrer. Nein, nicht mit mir, dachte sie sich. Wenn er nur mein Kumpel wär, wär das ja kein Problem. Aber sowas geht echt nicht. Scheiße, wie konnte ich mich nur mit ihm treffen. 
Als ihr einfiel, dass er ja in die gleiche Richtung kommen könnte, floh sie schnell in Richtung Ubahn. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen